Reichtum

Moskau, den 11. February 2003

Eben hat mich ein neugieriger georgischer Taxifahrer nach Hause gefahren. Ich war total genervt, weil ich gerade eine Stunde lang in der Bank in einer Schlange gestanden hatte. Die vielen Fragen, die er mir stellte, besserten meine Laune auch nicht grad auf: Unter anderem wollte er wissen, warum die Schweizer so reich seien. «So ein kleines Land, die Menschen sprechen vier verschiedene Sprachen, überall geht es den Berg runter, kein Meer weit und breit und nicht mal Erdöl, das man verhökern kann! Kann man von Käse und Schokolade reich werden?», wollte er wissen. Die stellen immer Fragen! Wie man reich wird, weiss ich nicht. Wüsste ich es, wäre ich sicher nicht in Moskau, sondern irgendwo wo es wärmer ist und würde frech unter einem Sonnenschirm hervorgrinsen, statt Artikel zu schreiben. Wie man es zu nichts bringt, ist mir aber in den letzten zweieinhalb Jahren in Moskau klar geworden. Der heutige Tag ist ein gutes Beispiel: Er fing damit an, dass ich mich guter Dinge an den Schreibtisch gesetzt habe. Am Mittag sollte ich einen Artikel abgeben. Schnell meine Mails checken, da sollten noch ein paar Zahlen drin sein und dann fertig schreiben. Ich konnte aber – wie so ungefähr alle drei Tage einmal – keine Mails runterladen, weil ich gar nicht auf den Server kam. Auch drei Stunden später nicht. Und auch nicht, als der Mittag längst vorbei war. Es half nichts, ich musste die Hotline anrufen. Das versuche ich immer zu vermeiden, denn man hängt mindestens eine halbe Stunde in der Warteschlaufe. Wenigstens flöten sie mir nicht «Ihr Anruf ist uns wichtig» ins Ohr. Abgesehen von einem schlechten Richard Clayderman-Verschnitt gibt es nur die Ansage: «Bitte nicht auflegen, Ihr Anruf wird beantwortet.» Wie schön! Und dann ENDLICH kam ich dran. Ich schilderte mein Problem, ein bisschen vorlaut – schliesslich habe ich meine Erfahrungen gemacht – sagte ich: «Ihr Server streikt wohl wieder mal! Wie lange soll denn das noch dauern?» «Bei uns ist alles OK. Wir haben keine Probleme», antwortete der Supporter. Den Spruch kenne ich auch schon auswendig. «Dann schauen Sie doch bitte trotzdem mal nach», gurrte ich ins Telefon. Bislang war es immer so, dass sie doch noch «etwas» entdeckt haben. Widerwillig schaute er nach: «Ihr Guthaben ist aufgebraucht.» War das peinlich! Ich hängte sofort auf und machte mich auf den Weg zur Bank, um mein Konto wieder aufzufüllen. Gratis Internet-Zugang gibt es hier noch nicht. «Was denkst du so lange nach?», fragte der Taxifahrer. «Kann doch nicht so schwierig sein!» Sollte ich ihm sagen, dass man sich bei uns nicht stundenlang in die Schlange in der Bank stellen muss, um eine Rechnung zu bezahlen? Oder dass der Handwerker einen Schlauch für den Gasherd selber mitbringt, wenn er ihn ersetzen muss und ich nicht drei Stunden verliere, weil ich zum Markt am Kiewer Bahnhof fahren muss? Kurz: Dass das Leben und die Abläufe so organisiert sind, dass man Dinge etwas effizienter erledigen kann als in Russland und deshalb mehr zum Arbeiten kommt und deshalb reicher wird? Ich beschloss, mir wenigstens diese Diskussion zu sparen und sagte: «Logo, Schokolade und Käse – ein irres Geschäft!»