Simferopol

Moskau, den 21. May 2004

«Bitte einsteigen!» Ein kleiner dicker Mann in Uniform stand am Ausgang zum Flugfeld. «Simferopol! Bitte halten Sie Ihren Boarding-Pass bereit!» Meine Mitreisenden standen ächzend von den Wartebänken im Moskauer Flughafen Scheremetjewo 1 auf und stellten sich in die Schlange. Es war halb elf Uhr morgens, ich hatte mir an der kleinen Bar gerade noch einen Kaffee bestellt. Auf der Schwarzmeer-Halbinsel Krim feierte an dem Tag Ludmilla, die Russisch-Lehrerin von meinem Freund, ihren Fünfzigsten. Wir beide wollten als Überraschung in ihre Party spazieren. Seit Wochen hatten wir mit Katja, Ludmillas Tochter, E-Mails ausgetauscht. Katja sollte uns am Flughafen abholen und zu Ludmilla nach Hause fahren. Ich verbrannte mir die Zunge beim Versuch, den Kaffee hinunterzustürzen, um einen Platz vorne in der Schlange zu ergattern. Das wäre gar nicht nötig gewesen, denn nur eine Minute nach seiner ersten Ankündigung rief der kleine dicke Uniformierte: «Der Abflug nach Simferopol ist verschoben!» Ein Murren ging durch die Gruppe, unsere Mitreisenden setzten sich wieder hin. Wir bestellten noch einen Kaffee. Nach einer halben Stunde wurde ich richtig ungeduldig. Ich wollte wissen, wie lange wir noch warten müssten. Der kleine dicke Flughafenangestellte zuckte mit den Schultern. «Nebel in Simferopol. Das kann dauern.» Ich trottete zurück an den Tisch. Schade, wir würden wegen des blöden Nebels einen Teil der Party verpassen. Wir beschlossen, dass wir Katja in Simferopol vorwarnen sollten, damit sie nicht zu früh zum Flughafen losfuhr. Nur: Katja hat in ihrer Wohnung kein Telefon. Ludmilla wollten wir nicht selber anrufen, weil sie sonst etwas wittern könnte. Also baten wir einen Freund von uns, der Ludmilla auch kannte, bei ihr anzurufen, nach Katja zu fragen und ihr auszurichten, dass wir uns verspäten würden. Es ging keine zehn Minuten, da rief unser Freund zurück. «Katja ist einkaufen gefahren, Ludmilla will mit ihren Gästen gleich in den Park, Schaschlik braten, die Sonne scheint und es ist herrlich warm», sagte er. Sonne in Simferopol?!? Ich ging noch einmal zum Beamten. «Immer noch Nebel in Simferopol», beschied er. Ich erzählte ihm vom Anruf. Er wurde unfreundlich. «Ich weiss auch nur das, was man mir sagt!», schnauzte er mich an. Ich trottete zurück zu meinem Platz. Nach eineinhalb Stunden konnten wir dann endlich losfliegen Als wir nach weiteren zwei Stunden in Simferopol gelandet waren, stand Katja da und winkte. «Hab ich lange gewartet!», rief sie uns entgegen. «Dabei habe ich extra bevor ich zu Hause abgefahren bin, am Flughafen angerufen. Da hiess es noch, der Flug sei pünktlich. Als ich hier ankam, erfuhr ich dann, dass euer Flug verspätet ist – wegen Nebel in Moskau!» Ich lachte los. So viel Dreistigkeit habe ich noch selten erlebt – alles nur faule Ausreden! Noch im Anflug auf das sonnige Simferopol hatte ich nämlich eine der Stewardessen gefragt, wo denn der berüchtigte Nebel hingekommen sei. Sie verdrehte nur die Augen. «Da war nirgends Nebel, höchstens im Kopf der Piloten. Die haben nämlich verschlafen!»