Swetlana

Moskau, den 20. August 2001

Morgen kommt meine Vermieterin Swetlana wieder. Wie jeden Monat am 20. holt sie ihre Miete ab. Ein Vergnügen, das sich russische Vermieter nur ungern entgehen lassen. Erstens ist es ein gutes Gefühl, mit einem Bündel frisch gebügelter Dollarscheine abzuziehen. Und zweitens muss sie ja auch ganz genau schauen, ob alles in Ordnung ist. Schliesslich wohne ich ja in Swetlanas Wohnung. Und es sind ihre Stühle, auf denen ich sitze und ihr Bett, in dem ich schlafe. Sie sieht sich immer ganz ungeniert um. Meistens ist sie zufrieden, wenn sie zu einer Tasse Kaffee die grünen Scheine vorgezählt bekommt. Nur das letzte Mal wollte sie noch ein paar Dinge mitnehmen, die sie in der Wohnung zurückgelassen hatte. Sie erwartete nämlich Besuch. «Wo ist das blaue Geschirr?», sagte sie. «Welches blaue Geschirr?», fragte ich, an ein blaues Geschirr konnte ich mich nicht erinnern. «Die weissen Teller mit dem blauen Muster drauf», sagte sie. «Ich hatte sie dagelassen, damit du sie benutzen kannst, wenn es einmal etwas zu feiern gibt». Kann gut sein, dass in meiner Wohnung blaue Teller stehen, denn meine Wohnung ist voller Dinge, die mir Swetlana, als sie auf ihre Datscha zog, hinterlassen hat. «Die blauen Teller lagen im Schrank im kleinen Zimmer. Darauf war noch eine Plastiktüte mit Besteck», sagte Swetlana bestimmt. Nur, der Schrank ist längst nicht mehr im kleinen Zimmer sondern im Schlafzimmer. Und was auch immer dort drin gelegen hatte, es ist sicher nicht mehr dort, weil der Schrank jetzt voller Kleider ist. Swetlana stürmte in die Küche und riss alle Schränke auf, auf der Suche nach den blauen Tellern. «Hast du sie kaputt gemacht?», fragte sie mich. «Ich habe diese Teller nie gesehen», sagte ich. «Doch, hast du. Die waren da, als du eingezogen bist! Ganz sicher!» Irgendwann meinte Swetlana dann, ich könne ja später noch suchen. Ihr Besuch käme noch nicht gleich und sie ging. Endlich. Kaum war sie aus der Tür raus, kam mir in den Sinn, wo die Teller noch sein könnten: Im Wohnzimmer, in der Kommode, deren Tür klemmt. Ich fing an, die Dinge raus zu ziehen. Eine alte Balalaika mit nur noch zwei Saiten kam zum Vorschein. Eine alte verbeulte Pultlampe, drei abgewetzte rote Plastikschüsseln, ein zerbrochener Kleiderbügel und staubige Sofaüberzüge. Und zu unterst lagen die Teller und daneben das Besteck. Swetlana war schon fast bei der Ringstrasse, als ich sie einholte. Von weitem schrie ich «Swetlaaaaanaaaaa! Die Teeeeeellleeeeeer!». Die Passanten schauten mich etwas irritiert an. Swetlana lächelte freundlich. «Hab ich doch recht gehabt!», sagte sie triumphierend. Wenigstens macht Swetlana keine weiteren Probleme. Nicht wie die Vermieterin eines Freundes, der, als er einmal einen Tag zu früh aus den Ferien kam, seine Vermieterin mit ihrem Liebhaber auf dem Sofa überraschte. Entschuldigt hat sie sich nicht. Nur gesagt: «Hättest auch sagen können, dass du früher aus den Ferien kommst!»