Ehefrauen

Moskau, den 10. October 2002

Jetzt weiss ich genau, was Lucia gemeint hat, als sie meinte, Männer seien in Russland nicht zu gebrauchen. Diese Aussage habe ich bislang nicht nur von meiner Putzfrau gehört, sondern von ganz vielen russischen Frauen. Eigene Erfahrungen zum Thema hatte ich bislang keine vorzuweisen, die russischen Männer, die ich kenne, sind eigentlich ganz in Ordnung Vor ein paar Wochen kam ich von einer Reise zurück nach Moskau. Ich hatte eben den Inhalt meines Rucksackes auf den Boden gekippt, als das Telefon klingelte. «Hallo, hier ist Marina! Sag mal, bei dir steht doch ein auseinander gebauter Schrank, der uns gehört und den du nicht brauchst. Kann ich den haben?». Marina, die Tochter meiner Vermieterin Swetlana, hat kürzlich geheiratet und ist bei ihrem neuen Mann eingezogen. «Klar, kannst ihn holen», sagte ich, während ich meine dreckigen Socken in die Waschmaschine stopfte. «Aljoscha, mein Mann, hat den Schrank noch nie gesehen, meinst du, wir können gleich vorbeikommen?», fragte Marina. Es war zehn Uhr abends. Ich sagte dennoch zu. Ich war gespannt auf den Mann. Ich hatte schon einmal ein Foto gesehen, darauf war die wunderhübsche Braut im weissen Kleid zu sehen und daneben ein riesiger Kasten im T-Shirt unter dem Anzug. Swetlana war vor zwei Monaten total erschüttert zu mir gekommen und erzählte mit Tränen in den Augen, Aljoscha sei ein Nichtsnutz, er habe weder was gelernt, noch hätte er einen Job. Als die beiden in die Wohnung traten, begriff ich, was Swetlana gemeint hatte. Sie schauten sich schnell die Schrankteile, die im Schlafzimmer an der Wand lehnten an und rannten in die Küche, wo ich Marina einen Kaffee machte. Nach zwei Minuten fragte Aljoscha, ob ich Whisky habe. Er goss sich ein Glas ein, kippte ihn ex und verlangte nach einem Glas Orangensaft. «Wir müssen los, Marina», sagte er. Marina aber musste mir erst noch von ihrem Hochzeitsgeschenk erzählen: «Stell dir vor, ich habe von Aljoscha Ohrenringe mit einem Hakenkreuz drauf bekommen!», sagt sie strahlend vor Glück. Ich fiel fast vom Stuhl. In der Zwischenzeit hatte sich Aljoscha noch einen Whisky eingeschenkt, auch diesen kippte er wieder ex. Da kam ihm was in den Sinn, er hatte es plötzlich nicht mehr eilig. «Kennst du die Slogans der amerikanischen Satanisten?», fragte er. «Kannst du mir einen auf Deutsch übersetzen? Den tätowieren wir dann Marina hinten quer über die Schultern», sagte er, während er sich mittlerweile den vierten Whisky eingoss. Nach zwanzig Minuten war der Spuk vorbei. So schnell, wie sie gekommen waren, so schnell waren sie wieder weg. Vor zwei Tagen kamen sie und haben den Schrank abgeholt. Aljoscha hatte eine riesige Fahne und Marina schlechte Laune. Er setzte sich erst einmal hin, um eine Zigarette zu rauchen, worauf Marina explodierte. «Mir reicht es endgültig!», schrie sie. «Wir packen jetzt sofort den Schrank ein und schauen, dass wir wegkommen!» Aljoscha sass derweil auf dem Stuhl, den Kopf in den Nacken gelegt und atmete tief. «Sobald man verheiratet ist, fangen die russischen Frauen an, einen rumzukommandieren», maulte das grosse Kind. «Werden bei euch Männer auch so schlecht behandelt?»