Luxus

Moskau, den 5. March 2002

Wehe, ich erzähle in Moskau, dass ich mir Nivea-Tagescreme ins Gesicht streiche! Nivea, so meine russischen Freundinnen, ist allenfalls etwas gegen raue Ellenbogen. Gekauft werden Nivea-Produkte trotzdem wie wild, weil Nivea ein West-Produkt ist, das sich auch Russinnen leisten können, die nicht zu den Topverdienerinnen gehören. Den Makel, ein Image als eher billiges Produkt zu haben, wird trickreich umgangen. Aber nicht erst, wenn die Tube zu Hause in ein schickes Döschen einer teuren Marke umgefüllt wird. Letzthin schaute ich einer Frau zu, wie sie bei einem Stand in der Metrostation eine Nivea-Tages-Crème erstand, diese in die Manteltasche steckte und zwei Schritte weiter zu einer Oma ging, die mit einer ganzen Palette Plastiktaschen dastand. Die junge Frau zog eine L’Oreal-Tasche aus dem Haufen, holte die Nivea-Crème aus der Manteltasche, steckte sie in den Plastiksack und ging die Tasche schlenkernd zum Ausgang Luxus in Moskau ist, sich ihn überhaupt leisten zu können. Oder eben mindestens so zu tun als ob. So ist nicht überall wo l’Oreal drauf steht auch wirklich l’Oreal drin, zumindest bei den Plastiktüten. Das gilt übrigens auch für Gucci-, Hugo Boss- und Dolce&Gabbana-Tragtaschen. Für zwei Rubel, umgerechnet zehn Rappen das Stück, sind in Moskau übrigens auch Frigor-Taschen zu haben. Das Plastiktaschen-Business muss gut laufen, denn nicht wenige der angebotenen Taschen sind gefälscht, ein Teil der Nescafe-Tüten zum Beispiel hat Nestlé nie machen lassen. Die Tragtaschen-Babuschkas sieht man allerdings immer seltener. Das hat aber weniger damit zu tun, dass die russischen Konsumentinnen und Konsumenten weniger Wert auf Luxusgüter legen. Noch immer müssen Pelze üppig, Gurtschnallen gross, golden und glänzend sein, die Brillanten müssen glitzern und die Handys pausenlos bimmeln. Aber die Menschen – zumindest in Moskau – verdienen immer öfter genug, um sich eine teuere Gesichtscreme zu kaufen. Zu ihrem Kauf bekommen sie eine Original-Marken-Plastiktasche. Die Tüte wird dann zu Hause sauber zusammengefaltet in die Handtasche gesteckt, um beim nächsten Einkauf wieder eingesetzt zu werden. Während Frauen ihre Plastiksäcke in der Metro nach Hause tragen, fahren Männer Auto. In der von chronischen Staus und mangelnden Parkplätzen geplagten Stadt wäre es eigentlich besser, sich einen praktischen Kleinwagen zuzulegen oder ganz zu Fuss zu gehen und dafür der Ehefrau noch einen Brillant-Ring mehr zu kaufen. Aber nein! Je grösser das Auto, je schwärzer, desto besser. Eine BMW-Vertretung wirbt per Radio damit, wenn schon dann stilvoll und bequem in einem BMW im Stau zu stehen. Das kann zu kniffligen Problemen führen: Ein Schweizer Restaurantbesitzer, dessen Nobel-Restaurant sich an bester Lage im Zentrum Moskaus befindet, beklagte sich kürzlich, eines seiner grössten Handicaps sei es, dass er keine Parkplätze direkt vor dem Restaurant hätte. Es sei seinen russischen Gästen extrem wichtig, dass sie durch die Fenster ihre Autos begutachten könnten. Und fast noch wichtiger sei es, dass andere beim Vorbeifahren sehen könnten, wer im Restaurant sitzt.