Millionärin

Moskau, den 15. July 2002

Dass es so schnell gehen würde, hätte ich nicht gedacht, aber auf meiner Steuerrechnung steht es schwarz auf weiss: Ich bin Millionärin! Nun ja, in Rubeln ausgedrückt. Aber immerhin. Dass ich zu einem ganz exklusiven Klub gehöre, wurde mir vor ein paar Tagen bewusst, als ich in der Zeitung las, dass es in Moskau genau 2745 solche Millionäre gibt. Und ich bin eine davon. Bei zehn Millionen Einwohnern! Nicht schlecht! Die frohe Botschaft brachte mir nicht die Postbotin. Die Steuerrechnung muss man selbst auf dem Steueramt abholen. Steuern zahlen ist schliesslich eine ernste Angelegenheit, die man nicht einfach so im Vorbeigehen erledigen können soll. Der russische Staat stellt mit dieser Art von Dienstleistung sicher, dass man das auch nie vergisst. Ich leistete mir auf dem Nachhauseweg gleich ein Taxi, Millionärinnen gehen ja schliesslich nicht zu Fuss und fahren auch ganz sicher nicht Metro. Schon nach fünfhundert Metern standen wir. Stau. Wie immer. «So viele Autos», stöhnte der Taxifahrer. «Und jeden Tag werden es mehr!». Drei Millionen Autos sind schon in Moskau unterwegs, erzählte er. Mir kam der Artikel über Mercedes-Limousinen in den Sinn, den ich mal geschrieben habe und dass ich da eine Statistik erwähnt hatte, wonach allein in Moskau 73 000 solche deutsche Luxuskarren unterwegs sind. Alle schwarz, alle mindestens 600er Klasse. «Überall muss man immer warten», stöhnte der Taxifahrer weiter. Und er erzählte, wie kürzlich seine Tochter fast den Flug verpasst hat. Der viel zu kleine Flughafen sei völlig überbelastet gewesen, weil immer mehr Leute sich Urlaube leisten können und nach Antalya fliegen. Mir begann es langsam zu dämmern. Dass die Russen nicht die Weltmeister im Steuernzahlen sind, ist mir ja auch nicht neu, das steht immer wieder in der Zeitung. Und meine russischen Freunde arbeiten so oft es geht schwarz. Aufgrund der Einkommensdeklarationen werden dann die Statistiken erhoben, aus denen man dann lesen kann, das drei Viertel von Moskau am Hungertuch nagt, während die Zahl der Autos, Restaurants und Ferienreisen steigt und die Boutiquen reihenweise neue Filialen eröffnen. Weil man in Moskau auf den ersten Blick sieht, dass diese Statistiken nicht stimmen können, habe ich mich kürzlich mit einem Typen getroffen, der eine Konsumenten-Erhebung machte um herauszufinden, was die Leute in Moskau wirklich verdienen. Er sagte mir, er gehe davon aus, dass es in Moskau mehrere zehntausend Dollar-Millionäre gebe. Ich dachte noch ein bisschen nach. Eine Million Rubel entspricht ungefähr einem Jahreseinkommen von 45’000 Franken. Damit kann man sich gar keinen Mercedes kaufen! Dafür gibt es höchstens einen Kofferraumdeckel und fünf Ersatz-Mercedes-Sterne dazu, weil die immer geklaut werden. Mittlerweile war ich zu Hause angekommen. Ich drückte dem Taxifahrer die 100 Rubel Fahrgeld in die Hand und bekam dafür – weil es ja ein schwarzes Taxi ist – keine Quittung. Mir wurde endgültig klar: Ich bin wahrlich ein Mitglied eines sehr exklusiven Grüppchens: Eine von 2745 Superdeppen.