Taxifahren

Moskau, den 20. December 2001

«Steig sofort ein!», schnauzt mich der Fahrer des dicken 600er Mercedes an. Hinter ihm hat sich schon ein Schlange von Autos gebildet, die ihn nicht überholen können, weil der Verkehr auf den anderen zwei Spuren der Ringstrasse im Zentrum Moskaus zu dicht ist. Ich zögere noch. Ich habe ihm zwar schon gesagt, wo ich hin will, aber er hat mir noch keinen Preis genannt, für den er mich dahinfahren will. Das kommt mir komisch vor. «Mehr als fünfzig Rubel zahle ich nicht», sage ich noch einmal. «Schon gut, steig endlich ein», sagt der Fahrer. So geht Taxifahren auf russische Art: Man stellt sich an den Strassenrand, hält die Hand raus und wartet, bis ein Auto hält. Richtige Taxis gibt es kaum, jedes Auto ist ein potenzielles Taxi. Es halten Leute, die auf dem Nachhauseweg sind und sich noch ein Taschengeld dazuverdienen wollen. Hält ein Auto, macht man die Tür auf, sagt, wo man hin will und wie viel man gewillt ist zu zahlen. Im besten Fall ist der Lenker einverstanden, meist wollen sie mehr, vor allem wenn sie meinen Akzent hören. Ist man handelseinig geworden, steigt man ein. Wenn nicht, steht hinten meist schon der nächste bereit, der sich ein Zubrot verdienen will. Meist halten alte Klapperkisten. Schigulis, Moskwitschi, Ladas und wie sie alle heissen. Selten aber auch schicke, meist schwarze Karossen mit geheizten Ledersesseln, Stereoanlagen und Aussentemperaturanzeigen. Wie im 600er Mercedes sitzen total gelangweilte Chauffeure von irgendwelchen wahnsinnig wichtigen Persönlichkeiten. Weil der Parkplatzmangel in Moskau so gross ist, dass sie für ihre Riesenschlitten keine Parkplätze finden, fahren sie herum und kutschieren zum Vergnügen mit Vorliebe Frauen herum. Gratis. Am Anfang hatte ich Angst. Doch mittlerweile weiss ich, dass in Moskau fast immer überall Stau ist und ich zur Not raus springen kann. Passiert ist noch nie etwas, dafür ich habe jede Menge spannende Menschen kennengelernt. Zwar nehmen mich die meisten deshalb mit, um umgerechnet drei, vier Franken dazuzuverdienen. Doch viele sind auch neugierig und wollen sofort wissen, woher ich komme und warum ich um Himmelswillen freiwillig in Russland lebe, wenn ich doch in der ach so schönen Schweiz wohnen könnte. Bei solchen Fahrten kann man allerlei erleben. Bei mir im Büro hängt ein Zettel, auf dem ein Georgier bei achtzig Kilometern pro Stunde meinen Namen mit den schönen geschwungenen Buchstaben des georgischen Alphabetes gekritzelt hat. Ein Mitarbeiter des FSB hat mich verkehrt herum durch die Einbahnstrasse nach Hause chauffiert, und von einem Abchasier, der mich unbedingt mit seinem Bruder verkuppeln wollte, habe ich zum Abschied einen getrockneten, übel riechenden Fisch bekommen, wie die Russen sie zum Bier essen. Ich durfte ihn sogar selber auswählen: Er machte seinen Kofferraum auf. Fünfzig Kilo stinkender Fisch – nimm so viel Du willst! Ich nahm einen kleinen und setzte mich bei der Pressekonferenz ganz hinten in die Ecke.