Derrick

Moskau, den 20. September 2001

Ich getrau mich eigentlich gar nicht zu sagen, dass ich gerne Derrick schaue, oder Kommissar Rex. Seit die aber russisch reden, habe ich die perfekte Ausrede: «Fernsehen ist gut für dein Russisch», hatte Alla, meine Lehrerin, gesagt. Und deshalb schaue ich jetzt Kommissar Rex und Derrick auf Russisch. Ich könnte natürlich auch Nachrichten schauen. Nur die Sprecherinnen und Sprecher reden so schnell, als ob jemand neben dran stehen, der eine geladene Kalaschnikow im Anschlag hätte. Da schau ich doch lieber Derrick. Der denkt so langsam und spricht nur wenig. Die Geschichten verstehe ich trotzdem meistens nicht ganz. Gerade bei Derrick macht das aber überhaupt nichts: Da sehen die Bösen böse aus und ich reim mir alles selber zusammen. Hin und wieder hört man auch einen Brocken Deutsch raus, denn die Filme werden nicht synchronisiert, sondern es wird einfach Russisch darübergeredet. Ziemlich gewöhnungsbedürftig, aber wenigstens gibt es mittlerweile pro Schauspieler auch eine Stimme. Bei den älteren Filmen oder bei Billigproduktionen ist das nicht so. Da gibt es einen Erzähler, der in monotoner Stimme nacherzählt, was grad über den Bildschirm flattert. So im Stil von: «Sagt er: Ich bring dich um. Sagt sie mach mal, du getraust dich ja doch nicht. Er schiesst. Sie fällt um. Sagt er: Siehst du!» Wahnsinn. Und sie lesen sogar den Abspann des Filmes vor. In Russland werden am Fernsehen aber auch Bilder gezeigt, die bei uns so nie über den Äther gehen würden. Manchmal, wenn in den Nachrichten besonders schreckliche Bilder gezeigt werden, sagt die Nachrichtensprecherin «wenn Kinder im Raum sind, sollten Sie sie jetzt rausschicken». Was dann kommt, ist meist auch für Erwachsene schwere Kost. Explodiert irgendwo eine Bombe auf einem Markt, sieht man blutüberströmte Leichen, denen ein Arm fehlt. Es gibt zu diesem Thema sogar eine eigene Sendung, «Katastrophen der Woche», immer am Sonntagnachmittag zur Kinder-Prime-Time eine halbe Stunde lang. Da wählt die Redaktion mit viel Feingefühl die schönsten Autounfälle und Flugzeugabstürze der vergangenen sieben Tage aus, die dann in epischer Länge gezeigt werden, mit allen Details. Hier ein Finger, da ein Kopf, und was besonders schrecklich ist, Körperteile, die man nicht mehr als solche identifizieren kann. Und daneben stehen total gelangweilte Polizisten rauchen Zigaretten. Viele Russen haben auch die einzigen Brocken Deutsch, die sie können, beim Fernsehen gelernt. Die alten russischen Kriegsfilme werden noch immer häufig am Fernsehen gezeigt, und letzthin kam ich auf dem Flug Zürich-Moskau mit Aeroflot in den Genuss eines solchen Schwarz-Weiss-Schinkens. Da jagen die braven sowjetischen Soldaten die fiesen Nationalsozialisten. Und deshalb konnte auch der Taxifahrer, der mich letzthin mitnahm, die zwei Sätze Deutsch, die hier alle können und die man immer wieder vorgesetzt bekommt, wenn man sagt, man spreche Deutsch: «Hände hoch» und «Hitler kaputt».